Macht Scholz auch die Haushaltsfrage wieder zur Chefsache? Die Wettquoten sehen gut aus. |
Meist bleibt am Ende nichts anderes mehr übrig. Olaf Scholz, der sich das Kanzlern bei seiner Vorgängerin Angela Merkel abgeschaut hat, aber auch die "ruhige Hand" des ehemals hochgeschätzten Gerhard Schröder lange studierte, ist kein Regierungschef, der schnell hektisch wird und Entscheidungen trifft, die noch gar nicht reif sind. Dinge überstürzen, die auch noch warten können? Nicht seine Sache.
Von den Schwerenwaffen angefangen bis zur Frage, ob Grenzkontrollen nun wirklich sein müssen, ist der Sozialdemokrat immer ein Mann der Geduld gewesen. Wenn es soweit ist, fügen sich die Sachen schon irgendwie. Und wenn es wirklich sein muss, das steht am Ende eines langen Jahres mit harten Entscheidungen, die andere hart machten, felsenfest, findet sich auch immer das Geld, hochschlagende Flammen zu löschen.
Nordisch kühl
Zweimal bisher hat Scholz auf den Tisch gehauen, nordisch kühl mit dem Knöchel. Seine Richtlinienkompetenz entschied offene Streitfragen zwischen den beiden kleineren Regierungsparteien. Ein neuer Rekord, denn schneller hintereinander in kürzerer Zeit hat noch nie ein deutscher Kanzler diese seine allerletzte Karte spielen müssen.
Auch Scholz mag das nicht, viel lieber lässt er seine Vizekanzler zanken, ehe er zu einem Mittel greift, das im politischen Berlin als "das Scholzen" eines Problembereiches bekannt ist: Meist am Nachmittag, meist nach etwa anderthalb bis zwei Wochen, in denen ein Thema in Schlagzeilen, Kommentaren und Talkshow schwärte, lässt der Bundeskanzler seinen treuen Sprecher dann verkünden, dass er dieses oder jenes nun aber "zur Chefsache" mache.
In der Regel reicht das vollkommen aus, die Lage in den Griff zu bekommen. Den "Umbau der Industrie" machte Scholz gleich zu Beginn des neuen "sozialdemokratischen Jahrzehnts" (Die Zeit) zur Chefsache, es folgte der "Strukturwandel als Chefsache", anschließend erklärte Scholz ein "LNG-Projekt zur Chefsache", ehe er bekanntgab, dass er den "Osten zur Chefsache machen" wolle.
Oft geht es nicht anders, weshalb auch Scholz sich persönlich um die Digitalisierung als Chefsache kümmert, "die Bundeswehr zur Chefsache" erklärt hat, in der "Chefsache Tesla" persönlich zur Eröffnung der Fabrik in Brandenburg kam und aus einem Krisentreffen mit der Rüstungsindustrie mit der beruhigenden Mitteilung, dass der Munitionsmangel nun Chefsache sei.
Ein Chef, viele Sachen
Ein Chef, viele Sachen, aber längst noch nie alle. Denn wo es brennt, da taucht der Kanzler auf und er macht die Flüchtlinge zur Chefsache, den Bau von Windrädern, auch Afrika, die Bezahlung im Frauenfußball, die ganze Außenpolitik und neuerdings auch das bisschen Haushalt. Der erfahrene Machtschachspieler weiß seit seinen Anfängen als Hamburger Bürgermeister, als er den Heidi-Kabel-Platz zur Chefsache erklärt hatte: Ist etwas erst Chefsache, stehen die Chancen gut, dass niemand mehr jemals danach fragt.
Doch obwohl das Ausrufen neuer Chefsache damit die unaufwendigste Art der Krisenbewältigung darstellt, setzt auch Scholz Prioritäten. Stur weigert er sich, die Zustellförderung für gedruckte Presseerzeugnisse zur Chefsache zu machen, auch die Lieferprobleme bei Medikamenten schätzt der Sozialdemokrat als noch nicht so akut ein, dass nicht Karl Lauterbach als zuständiger Minister eine Lösung noch eine Weile lang verschleppen kann. Dasselbe gilt für den Wohnungsbau, der auch ohne ihn nicht läuft, und die Bildung, die ohnehin nicht mehr zu retten ist. Olaf Scholz hat andere Sachen auf dem Cheftisch: Die Diversität ist eine weitere seiner Chefsachen,
Wann führt er endlich?
Der Chef hat also alle Hände voller Chefsachen zu tun, aber die derzeit 13 aktenkundigen Chefsachen reichen manchem Jammerer immer noch nicht. "Wann führt der Kanzler endlich?", fragte der "Spiegel" vor Wochen provozierend, als sei das Abarbeiten von Chefsachen nicht genau die Führung, die die Menschen bestellt haben und die Olaf Scholz in seiner gelassenen Art bietet.
Auch im kommenden Jahr wird der Kanzler viele Dinge wieder zur Chefsache machen, nachdem er zuletzt auch die Lösung der nach dem Karlsruher Haushaltsurteil noch offenen Fragen zur künftigen Staatsfinanzierung durch umfangreiche Sparmaßnahmen unter Chefaufsicht lösen konnte. Damit ist die Kuh vom Eis und das Problem in trockenen Tüchern. Die Geschichte zeigt: Noch nie ist eine Aufgabe zur Wiedervorlage gelangt, nachdem sie der Kanzler selbst zur Chefsache erklärt hatte.